Du bist wie ich, nur anders …Wie ist das eigentlich so mit Flüchtlingen?

Meine Erfahrungen mit Flüchtlingen: Wenn wir an Flüchtlinge denken, und keine persönlich kennen, dann haben wir ein Bild vor Augen. Jeder für sich, jeder ein anderes. Dass dieses Bild, das wir da vor uns haben, aber möglicherweise so ganz und gar nicht den Tatsachen entspricht, darüber denken wir viel zu selten nach. Oder vielleicht sogar gar nicht. Tun wir es? Ein paar von uns, bestimmt. Und alle, die Flüchtlinge unterstützen und für sie da sind, sowieso.
Trotzdem umschleicht mich so ein Gefühl: Die Masse erkennt zwar, dass wir flüchtigen Menschen helfen müssen. Aber hilft die Masse auch? Oder versteckt sie sich lieber in Ausreden und Ängsten?

Du bist wie ich, nur anders ..

Ich hatte Ängste und ich wollte helfen. Eine doofe Kombination, das wusste ich. Es blieb mir also nur, meine Angst zu überwinden. Und ja, das hat ein bisschen gedauert. Wovor hatte ich Angst?
Ich hatte Angst, mit kleinen Fehlern – aus Unwissenheit über die andere Kultur – Menschen womöglich nicht respektvoll genug zu begegnen. Ich hatte Angst vor der Sprachbarriere, weil mir meine Sprache so viele Chancen gibt – eben auch für Zwischentöne. Weil Sprache meine Empathie ausdrücken kann und sie mir ermöglicht, Menschen an mein Herz zu lassen – und umgekehrt. Mit Sprache zeige ich Menschen, wie ich bin, und dass ich es gut meine. Wenn ich aber die Sprache nicht spreche und man sich nicht verständigen kann – was bleibt dann?
Ein bisschen Angst, die sehr vielschichtig ist. Sie bündelt viele Gefühle. Unsicherheit, Sorge, Ungewissheit – aber auch Respekt und Anerkennung vor dem, was diese flüchtigen Menschen leisten, erleben und erleiden mussten.Irgendwann hatte ich es satt. Ich hatte es satt, über Flüchtlingshilfe nur zu lesen. Ich hatte es satt, all die schlimmen Nachrichten zu konsumieren und im Warmen zu sitzen, ohne selbst etwas zu tun. Ich fühlte mich nicht mehr gut dabei, einfach nur mal hier, mal da ein paar Spenden zum Roten Kreuz zu bringen, die ob der Flut an Sachspenden all den schönen Stücken ohnehin nicht Herr werden. Ich fühlte mich auch nicht mehr gut dabei, einfach nur Geld zu überweisen. Ich tat dies häufig, damit ich wenigstens irgendetwas tat. Aber jetzt wollte ich selbst helfen. Und vor allem: DIREKT.
Ich wusste, dass ich viele Vorbehalte, nein Ängste, nein – sagen wir Unsicherheiten, über Bord werfen musste. Ich war bereit. Ja, und jetzt?Gehe ich einfach in das Flüchtlingsheim in meiner Nähe und versuche, den Sicherheitsbeamten davon zu überzeugen, dass ich es nur gut meine und reingelassen werden möchte? Kann man machen. Im Zweifel lässt er mich nicht rein, und falls doch: Was mach ich denn dann da?
Gehe ich auf die Stadt zu und erkundige mich, wie Flüchtlingshilfe in meiner Umgebung funktionieren kann? Eine gute Idee, dachte ich. Doch sowohl die Telefon- als auch die Onlineauskünfte sind verbesserungswürdig.
Gehe ich zur Kirche und finde da Verbündete, die sich auskennen, die schon Flüchtlinge betreuen, die mir sagen können, wo ich überhaupt noch gebraucht werde – und ob überhaupt. Eine gute Option, denn die Kirchen, nein – ihre Gemeinden -, sind Vorreiter in dieser Angelegenheit. Und dann gibt es Institutionen wie Pro Asyl, Flüchtlingsräte und Arbeitsgruppen.Am Ende aber habe ich es auf meine Art gemacht. Über eine Facebook-Gruppe. Jetzt könnte man sich überlegen, warum ich ausgerechnet diesen Weg gewählt habe. Ich denke, bei mir war es die Tatsache, dass ich die Möglichkeit erkannt habe, erstmal still mitlesen zu können, ein Gefühl für die Sache zu bekommen und dann, wenn ich aus mir heraus den Impuls verspüre, zu helfen – dann, ja dann, werde ich helfen. So die Idee – und so sollte es kommen.Ich bin also dieser Facebook-Gruppe beigetreten, die sich um Menschen mit existenziellen Bedürfnissen kümmert. Und das sind nicht nur Geflüchtete, denn es gibt auch in unserer Nachbarschaft Menschen, die unsere Hilfe benötigen. Viele Kinder in Deutschland leben in Armut, es ist jedes Fünfte. Ich hatte dazu kürzlich auch hier berichtet. Aber ich möchte zum Thema zurück kommen, denn in dieser Gruppe gibt es viele sehr, sehr aktive Flüchtlingshelfer. Menschen wie wir. Menschen, die ihrer ganz alltäglichen Arbeit nachgehen, Menschen, die auch Kinder haben, Menschen, die einen vollen Tag, volle Wochen und pralle Wochenenden haben. Menschen, wie wir alle. Und dennoch schaffen es diese Menschen, sich für Flüchtlingsarbeit zu engagieren. Und übrigens haben sie meist nicht ein, zwei Familien, die sie betreuen – sie haben zehn, zwölf und mehr.
Die haben also Tage wie wir alle und setzen sich am Abend und an ihren Wochenenden hin und pflegen diese Gruppe, sammeln Spenden, übersetzen Schreiben, bearbeiten Anträge, hören zu, fahren Dinge von A nach B und schreiben Listen. Wer braucht was? Wie viele Familien haben wir? Wie groß ist die Familie? Wie alt die Kinder? Welche Kleidergrößen tragen sie? Wie geht es den Kindern? Hat die Familie ein Dach über dem Kopf? Stehen dieser Familie Leistungen zu, weil sie möglicherweise schon über 12 Monate in einem Camp aus vier Quadratmetern hausen – zu viert? Wie geht es den Kindern? Haben sie einen Kindergarten- oder Schulplatz? Brauchen sie Hilfe, sind sie von Krieg und Flucht womöglich zu stark traumatisiert? 
All das machen Menschen, Flüchtlingshelfer, vor denen ich allergrößten Respekt habe. Sie tun dies völlig uneigennützig. Sie tun es ehrenamtlich und in ihrer Freizeit.Mein Kalender ist voll und wenn ich tagelang darüber nachdenke, WANN ich denn nun die Flüchtlingsfamilie besuchen könnte, dann sagt mein Kalender – in drei Wochen ginge es. Da hast du einen freien Tag. Der ist begrenzt, denn die Große kommt von der Schule und die Kleine aus dem Kindergarten. Aber da hast du nichts.
Ich spürte, dass ich nicht nur meine Ängste über Bord werfen, sondern auch selbst wesentlich flexibler werden musste. In der Facebook-Gruppe las ich die Postings vieler Helfer aber auch vieler Geflüchteten, die mit meistens richtig gutem Deutsch schon ziemlich konkret ihre Fragen aus allen Lebensbereichen stellen konnten. Und unter all den Postings gab es immer Menschen, die ein offenes Ohr hatten, einen Rat, anwaltlichen Beistand anboten, die Gesetzeslage kannten und Leute wie ich, die darauf warteten, endlich helfen zu können.
Eines Tages laß ich, dass eine Familie nach mehr als einem Jahr im Camp endlich eine Wohnung hat, doch es fehlt das Nötigste. Um nicht zu sagen: alles. Ich kommentierte den Post und weil ich „Familie“ aus diesem Text herauslas, dachte ich – na, vielleicht passt das ja zu uns. Immerhin habe ich auch Kinder. Ich schrieb mit der Flüchtlingshelferin hin- und her, erfuhr mehr über die Familie und das Alter der Kinder und bot an, am übernächsten Tag alles, was gebraucht wird und alles, worauf ich verzichten kann, zu dieser Familie zu fahren.Mein Auto war an diesem Tag pickepackevoll. Ich freute mich riesig und hatte endlich das, was ich mir wünschte: Direkte Hilfe. Ich war aber auch wieder ängstlich, denn ich hatte viel Kleidung eingepackt, moderne Kleidung, Schuhe mit und ohne Absatz, gute Stücke, die ich kaum oder gar nicht getragen hatte. Und dann im Auto bekam ich ein bisschen Panik. Was, wenn ich völlig falsch lag? Trägt die Frau vielleicht ein Kopftuch? Sind meine mitgebrachten Tücher womöglich zu modern, zu bunt? Und was ist erst mit den Schuhen? Soll ich die Absatz-Stiefeletten doch wieder raus nehmen? Ich war bei Kleinigkeiten plötzlich so unsicher, aber ich wusste es einfach nicht besser. Ich hatte keine Ahnung, woher die Familie kommt, die ich besuche. Ich wusste nicht, wie sie sich gerne kleiden. Ich wusste nicht, ob sie meine Sprache verstehen. Es gab so viele Unwägbarkeiten, aber: es gab kein Zurück, denn ich hatte mich angekündigt. Und zuverlässig bin ich.Als ich mit der Familie schließlich das Auto auslud und mit in die Wohnung auf einen Tee durfte, dann geschah dass, wofür ich dieser Familie sehr dankbar bin. Sie ließen mich in ihr Herz. Wir konnten uns prima verständigen, sie erzählten ihre Geschichte, ich erzählte von meiner Familie. Ich zeigte Fotos, sie schnitten Obst und machten Tee und ich blieb ganze drei Stunden.
Ich kann nicht sagen, ob mich jemals eine Begegnung innerhalb so kurzer Zeit so nachhaltig bewegt und beeindruckt hat. Vermutlich nicht. Umso dankbarer bin ich, dass ich auf diese Familie traf. Es hat mich bestärkt, weiter zu machen. Es hat mir gezeigt, dass wir in Deutschland dringend etwas zurecht rücken müssen, denn die Familie, die ich traf und treffe, ist eine Akademikerfamilie. Sie möchte sich gerne in unsere Gesellschaft einbringen. Die Kinder gehen zur Schule und sprechen hervorragend deutsch.Ich würde euch noch gerne so so viel erzählen, aber das wäre zu persönlich und passt daher an dieser Stelle nicht mehr. Nur so viel: Tut es! Es tut gut. Euch, den Menschen, denen ihr helft und auch unserem Zusammenleben. Unserem Miteinander. Es beantwortet viele Fragen und erweitert so oder so unseren Horizont. Es macht uns traurig und glücklich zugleich. Es macht uns aber auch dankbarer und verständnisvoller.In den letzten Wochen waren meine Kinder häufig krank. Ich war unzufrieden und kam zu nichts, wollte aber unbedingt die Familie wieder besuchen. Wir sind im regen Kontakt bei WhatsApp, aber wir wollten auf jeden Fall noch ein gemeinsames Essen vereinbaren.Ich schickte also eine Nachricht und wollte wissen, wann es Ihnen denn in den nächsten zwei Wochen passen würde. Und sie schreiben: HEUTE.
Und dann war ich dort. Quasi sofort und quasi spontan, mit den Kindern. Obwohl mir mein Kalender sagt, ich habe sowieso nie Zeit. Aber: Es ging und es war so toll! Wir aßen zusammen syrische Gerichte, wir Mamas sprachen über Kinder, es war ein Stück wunderbare Normalität.
Wir sprachen auch über das Erlebte und das eine Kind sagte mir: Du bist wie ich, nur anders. Ich weiß genau, was sie mit diesen Worten meinte. Ja, ich bin auch ein Mensch. Aber ich habe eine andere Geschichte. Und doch sitzen wir zusammen, können ein bisschen Alltag teilen.

Ich bin sehr dankbar, dass es sie gibt. Ich bin sehr dankbar, dass ich so nah helfen darf. Und ich möchte alle, die mit sich hadern und vielleicht dieselben Ängste haben wie ich, ermutigen: Tut es. Ihr werdet belohnt. ​

Update im Oktober 2017: Im Sommer war die Familie bei uns zu Besuch, heute erst wieder haben wir telefoniert. Ständig halten wir uns gegenseitig auf dem Laufenden. Ich merke: Manchmal müssen wir einfach unser Ängste austricksen, um neue Freundschaften schließen zu dürfen.

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6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Du bist eine von den guten Leo! Danke! Denn bei den ganzen Gruselmeldungen kann man manchmal ganz schön verzweifeln.

    Antworten
    • Leonie Lutz
      2. Oktober 2017 12:00

      So ist es, du Liebe. Die Gruselmeldungen schaffen es immer in die News. Die schönen und wichtigen Seiten eher weniger. Aber: Es gibt sie!

      Antworten
  • Ich weiß so gut was du meinst! Danke für deinen Mut! Und diesen besonderen Einblick.. es ist wirklich schön einmal solche Erlebnisse zu lesen. Das brauchen wir alle viel mehr !

    Antworten
  • Danke für diesen besonderen Beitrag! Ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, dass ich helfen und unterstützen möchte, hab aber bisher nicht gesehen, wie ich das in meinen stressigen Alltag (auch hier selbstständig arbeitend mit zwei Kleinkindern) integrieren kann. Dein Text gibt mir den nötigen Anstoß!
    In welche FB-Gruppe bist du denn eingetreten?

    Antworten
    • Liebe Janine, es gibt verschiedene Facebookgruppen, für nahezu alle Städte. Schau dort einfach mal bei Flüchtlingshilfe. Und es gibt die Gruppe “Miteinander Leben”, da bin ich auch drin und habe schon oft schnelle Hilfe leisten können. Viele Grüße, Leonie

      Antworten

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