“Du Arme, siehst echt fertig aus.” Von Schönheit und Idealen
Doch am meisten nervt mich, dass es mich nervt. Mich nervt, dass es mich ärgert, am morgen verknittert auszusehen.
Mich nervt, dass jeder glaubt das Recht zu haben, einen Menschen zu kommentieren. “Gehts dir nicht gut? Du siehst echt fertig aus!” Oder: “Du hast ein bisschen zugelegt, kann das sein?” Vielleicht hören wir auch mal ein “Du hast aber schön abgenommen” und empfinden das als Lob. Und sollten wir das Glück haben, dass Menschen das ein- oder andere nicht aussprechen, haben wir ganz bestimmt das Pech, dass sie es wenigstens denken. Mit oder ohne Falten, dick oder dünn – es geht um Schönheit und Ideale. Aber vor allem um falsche Schönheitsideale. Auf Plakaten, in Magazinen, bei Instagram.Schön sein fühlt sich gut an – weil es uns Wohlbefinden bringt. Wenn wir uns mögen, geht es uns besser. Das aber ist gar nicht so einfach, weil uns von außen oktroyiert wird, was Schönheit ist – und was (vermeintlich) nicht.
Klar ist mir auch, dass es genau diese Bilder von Frauen sind, in denen Werbetreibende ihr Produkt sehen möchten. Und ganz bestimmt sogar, habe auch ich schon mal eine Anti-Falten-Creme gekauft – oder zwei – , weil die Dame auf dem Foto hübsch aussah. So funktioniert es nunmal.
Wenn ich also nicht neidisch bin und wenn ich verstehe, worum es geht – warum reg ich mich dann auf?
Wenn Frauen zwei Wochen nach der Geburt ihrer Kinder keinen Bauch mehr haben dürfen, weil sich dieses Bild von der superschlanken, frischgebackenen Mama gesellschaftlich manifestiert hat.
Wenn sich Frauen unterbewusst an Models messen, weil sie ihnen medial nicht mehr entkommen können.
Wenn Frauen suggeriert werden soll: Schaut her, so sollte man aussehen!
Und wenn Frauen von den Medien gleichermaßen auch beleidigt werden. Denn dort ist ja nun auch die Rede von Dellen-Desaster, Schenkel-Schanden und Knie-Katastrophen {dazu solltet ihr unbedingt auch diesen Text lesen!}
Produziert hat ihn Nora Tschirner und es geht eben genau darum: wie sehr Frauen immer wieder unter dem Druck leiden, perfekt aussehen zu müssen.
Ja, das Thema ist nicht neu. Aber trotzdem dürfen wir nicht aufhören, darüber zu sprechen und zu schreiben. Für unsere Kinder sind wir die Größten, egal wie schmal oder breit unsere Hüften, wie verdellt unsere Schenkel oder verknubbelt die Knie sind. Ich hab neulich etwas gelesen, das ich nicht 1:1 wiedergeben kann, aber so in etwa war der Kontext: Unsere Kinder werden sich nicht an die Bikini-Figur erinnern, die wir im Familienurlaub hatten – oder auch nicht. Sie werden sich an den Urlaub erinnern.
Ich bin Leonie. Ich war ein kräftiges Kind. Mit 12 hatte ich immer noch Babyspeck, so jedenfalls wurde mein Körper kommentiert. Mit 13 wollte ich keinen Babyspeck mehr haben und nahm ab. Mit 24 wurde ich zum ersten mal Mutter. Ich nahm knapp 30 Kilo zu, weil ich endlich mal einfach nur gegessen habe, wie ich Lust hatte. Ein Jahr nach der Geburt war ich dann dünn. Dünn, weil ich meinem Partner noch gefallen wollte. Und mir selbst. Und allen anderen. Ich mochte Sport nicht, also musste ich mich entsprechend ernähren, damit ich dünn bleibe. Jahre sind vergangen, Kilos und Speckfalten dazu gekommen. Augenringe, Falten, bestimmt auch Dellen, aber da gucke ich nicht mehr so genau hin.
Ich gehe auch nicht auf die Waage, oder sagen wir: Nicht regelmäßig.
Aber ich gehe wieder zum Sport. Nicht, weil ich dünn sein will. Nicht, weil ich abnehmen will. Ich will mich wohl und gut in meiner Haut fühlen und einen Ausgleich zu meinem Alltag haben, damit ich eine zufriedene, fröhliche Mama bleibe.
Meine Figur setzt mich nicht mehr unter Druck wie früher. Aber es gab Zeiten, da spürte ich diesen Druck immens. Heute ist das für mich superlange her. Und ich bin froh darum, denn welche Message würde ich als Mama meinen beiden Kindern vermitteln, und die große Tochter ist vermutlich empfänglicher als die Kleine, wenn ich hungere, um dünn zu bleiben, wenn ich vor dem Spiegel stehe und mich hassen muss, weil ich eben nicht aussehe wie irgendjemand auf einem Hochglanz-Titel. Für meine Kinder bin ich schön. Bestimmt sogar die Schönste.
Ich pflege mich gerne. Ich bin irre dankbar, dass es Make-up gibt, ich mich schminken und meine schlaflosen Nächte optisch abmildern kann. Aber ich bin genervt von all den Reklamen, Happy-Schnäppi-Bildern und retuschierten Instagram-Models, die sich jede Regung aus dem Gesicht löschen lassen. Genervt von den Marketingsprüchen “schlank und sexy in 10 Wochen”, wie es Charlotte Würdig proklamiert. Denn, und da geht das Thema weiter: Bin ich nur sexy, wenn ich schlank bin? Was für eine fatale, dumme Message! “Nur 12 Wochen nach der Geburt rank und schlank“, so umjubelten Frauenmagazine Würdigs straff trainierten Body. ERNSTHAFT?
12 Wochen nach der Geburt war bei mir noch viel von der Schwangerschaft zu sehen. Aber 12 Wochen nach der Geburt störte mich das keineswegs. Ich hatte ein Baby!
Ich weiß: Das Thema hat viele Facetten. Ich kann nicht auf alle eingehen, möchte aber die Ansprechen, die mich am meisten stören. Denn wenn es heißt “schlank & sexy”, und sexy sein schlank sein voraussetzt, dann ist man ganz schnell bei dick oder dünn, hässlich oder schön. Und so darf das nicht laufen.
Denn diese fatale Message geht ja nicht nur an uns Mamas, sondern auch an unsere Teenager, unsere Kinder. Und die brauchen ein gesundes Körpergefühl, dass wer vorlebt? Wir Mamas.
Anna hat dazu einen tollen Text geschrieben {dick oder dünn?}. Und in eben diesem Text findet sich eine ganz wunderbare Message an uns – und unsere Kinder, die ich gerne zitieren möchte:
„Ich möchte nicht die ewig diätende unzufriedene Mutter sein, die ihren Töchtern vorlebt, dass sie niemals gut genug sind. Ich möchte die sein, die mit ihnen durch die Bude tanzt, egal, wie das dabei aussieht. Ich bin verantwortlich dafür, wie sich ihr Selbstwertgefühl entwickelt und wie gut sie sich in ihrer Haut fühlen und in Zukunft fühlen werden. Das gesunde Körpergefühl bei Kindern hängt auch davon ab, wie gesund das Gefühl ihrer Mütter für den eigenen Körper ist. Und ob sie miterleben, dass ihre Mutter sich annimmt, sich selbst lieben kann und sich sogar schön findet.“
Das möchte ich gerne so als Schlusswort stehen lassen. Ein Besseres wird es zu diesem Thema nicht geben.
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Video Florian Schröder:
“Jedes dritte Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren leidet heute unter einer Essstörung” schreibt Katharina auf ihrem Blog. Und weil es auch thematisch passt, hier noch ein Lesetipp zu ihrem Text. Katharina beschreibt ziemlich gut – und sehr traurig -, wie sich eine Essstörung anfühlt, wie es sich damit lebt und wie ein Weg heraus aussehen kann.
14 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Liebe Leonie, ich mag deine Texte immer. Wollte ich schon öfter mal loswerden. Auch heute sprichst du mir aus der Seele, auch wenn ich selbst noch nicht so weit bin. Ich finde mich okay aber so richtig wohl fühle ich mich eigentlich nie. Mit Klamotten dann vielleicht schon. Aber beim Bikini hört es auf. Werde das Gefühl, die unförmige und dicke aus der Kindheit zu sein einfach nicht los. Und ich kann mich auch nicht von vergleichen zu anderen frei machen, obwohl ich gerne frei davon wäre. 🙏🏻 danke für deine Gedankengänge die immer etwas mit mir machen. Deine Clara
So wundervoll auf den Punkt gebracht! Und…Das ich dies schreibe…Wer hätte das gedacht… Ich kam aus der Dusche und föhnte meine Haare.Mein Töchterlein schaute mich interessiert an.Ich fragte sie was los sei…”Mami wenn ich gross bin,hätte ich such gerne so einen Busen”…”Ja den bekommt jedes Mädchen”…Daraufhin sie mit entsprechender Geste “Aber Mami er soll so schön hängen wie Deiner” Was tun?Weinen oder lachen?! Mir kamen die Tränen,da ich so mit all meinen Fehlern und Makeln geliebt werde…Schönheit liegt im Auge des Betrachters und Kinder schauen mit dem Herzen classic_traditional (instagram)
Ich find es so toll, dass deine kleine das so gesagt hat. Da hast du einfach alles richtig gemacht, würde ich sagen. Schööön!! Für unsere Kinder sind wir ja nicht nur die Schönsten, sondern auch die schönsten Vorbilder ❤️
👏🏼👏🏼👏🏼 Applaus! Ich finde mich so sehr wieder!
Danke. Alu
Sehr gut geschrieben, ich denke und fühle genauso. Ich bin auch Mama und hab immer immer schlechte Haut, wogegen ich nix tun kann. Regelmäßig sagen Kollegen auf der Arbeit zu mir “Na du siehst aber fertig aus!” oder sogar “lange Nacht gehabt, siehst echt scheiße aus!”. Einmal hab ich eine von ihnen gefragt was es ihr persönlich gibt, mir das immer zu sagen. Danach sagte sie nix mehr, nur in ihrem Kopf, klar.
Ach liebe Liz, das tut mir sehr leid. Was sind das bitteschön für Kollegen? Finde ich unsäglich, was die sich anmaßen. Überhaupt scheinen manche Menschen völlig empathielos gar nicht darüber nachzudenken, was sie mit ihren Fragen beim Gegenüber auslösen. Finde ich super, dass du auch mal in die Offensive gehst. Würde auch glatt mal eine Gegenfrage stellen und das ganze Umkehren.
Liebe Leonie,
Das ist so ein immens wichtiges Thema und ein wirklich schöner, ehrlicher Text. Leider merke ich mit U30 noch diesen Druck, ob nun von außen oder inzwischen schon internalisiert. Diese permanenten Kommentare zum Äußerlichen, wie schnell man wieder schlank wird nach der Geburt, oder eben nicht. Keiner fragt einen mal, oder interessiert sich, wie es drinnen aussieht.
Und ich stehe auch viel zu oft vorm Spiegel und kritisiere mich, meinen Körper. Denn zu hören zu bekommen, dass man zugelegt hat will man ja auch irgendwie nicht.
Auf der anderen Seite sehe ich (und rege mich fürchterlich auf) wie der Schlankheitswahn von Müttern sich auf die Ernährung und Gesundheit der Kinder auswirkt. Bereits im Kleinkindalter, auch bei Jungs. Wenn die miesgelaunte, hungrige Mama nicht isst, haben die Kinder auch keine Lust, ihren Teller aufzuessen. Mahlzeiten werden zum Spiessrutenlauf.
Und dann habe ich mich neulich auch dabei ertappt, so einen Kommentar abzugeben. Denn alle haben es gemacht und ich wollte auch dazu beitragen, dass sich die Person gut fühlt, es irgendwie anerkennen, dass sie (20 kg) abgenommen hat. So ein Blödsinn!!
Es gibt bei diesem Thema so viele Facetten, so viele Dimensionen. Und am Ende zählt doch der Mensch im Körper.
Vermutlich hatten wir einen ähnlichen Körper damals in der Kindheit. 😉 Ich habe meinen “Babyspeck” auch bis in die Pubertät getragen, ihn mir weggehungert, aber mit 16 bereits dann die Waage aus meinem Leben verbannt.
Nicht, dass ich ab dann nicht mehr mit meinem Körper gehadert hätte. Nicht, dass nicht immer Kommentare gekommen wären, wenn ich so toll abgenommen oder leider etwas zugenommen hatte. Aber ich habe nicht mehr gehungert.
Die erste Schwangerschaft brachte 35kg rauf und wieder runter (ohne Diät) und reichlich Spuren. Die zweite Schwangerschaft mögen 10kg weniger gewesen sein, aber ich würde schätzen, dass noch einige da sind, die sich in einem netten 6-Monats-Bauch manifestiert haben.
Krümel wird bald 2 Jahre alt. Die Zwillinge sind 4. Ich bekomme ständig Glückwünsche zum 4. und ein wenig nervt es dann schon.
Aber ich mag mich. Früher fand ich mich hässlich. Bis in die 20er dachte ich, dass ich ein wirklich hässliches Mädchen bin. Irgendwann war es mir egal und mit Ü30 weiß ich nicht mehr, wer mir das mal eingeredet hat oder wie ich auf den Trichter kam, denn so sehr ich auf alten Fotos suche: Ich war ganz sicher nie hässlich.
Ich möchte nicht, dass meine Kinder irgendwann so über sich denken.
Liebste Grüße
Kerstin
Liebe Kerstin, nun kenne ich dich ja persönlich und damit auch optisch und es ist echt krass, mehr über dein (früheres) Selbstbild zu erfahren. Denn: Ich finde dich total hübsch! Seit ich dich kenne! Du hast eine ganz tolle Ausstrahlung, immer so eine samtige Haut und tolle große Augen. Das ist es, wie ich dich sehe. Noch nie ist mir aufgefallen, dass dein Bauch auch nur annähernd etwas groß sein könnte. Das musste ich jetzt mal eben loswerden 😉
Liebe Leonie,
danke für deine Worte, deine Ehrlichkeit, den Denkanstoß. Wie oft “kritel” ich an mir rum, bin unzufrieden, fühle mich unwohl in meiner Haut. Hauptsächlich aus Gründen bzw. Gedanken, die ausschließlich andere mir in den Kopf gepflanzt haben. Und poste dann Bilder nicht, weil mein Bauch/Bein/Po zu dick aussieht, zu dick fürs Netz, zu dick für “hübsch”. So’n Quatsch eigentlich. Aber gut, Baustelle erkannt, Feind identifiziert. Und wenn man seinen Feind (bzw Dämonen) kennt, kann man ja auch was dagegen tun, oder? Und jetzt entschuldige mich, ich muss mal eben ein Bild posten. 😉
Liebe Grüße
Judith
Ich verstehe, was du meinst. Ich glaube, ich würde auch keine Bilder posten, auf denen ich mir so gar nicht gefalle. Das Bild oben zum Beispiel. Das mag ich nicht sooo gerne. Aber ich kann damit leben. Es ist unbearbeitet, hat keinen Filter, keine Retusche. So bin ich, und wir sollten uns viel öfter trauen uns so zu zeigen, wie wir sind.
Vielen Dank für diesen tollen Artikel! Ich komm grade aus dem Fitnessstudio, war da das erste mal nach der Geburt von Kind 3 (hab mir ein halbes Jahr Zeit gelassen) und fühl mich wie neugeboren. Ich liebe Sport und gutes Essen und genau das sollen meine Kinder auch lernen – die Balance aus Bewegung und Ernährung. Beides gehört zum Leben dazu. Als Kind war ich pummelig, danach super schlank, dann permanent schwanger oder stillend – jetzt gehts wieder los mit Sport, denn das brauch ich als Ausgleich und als Auszeit. Und um mich wohlzufühlen. Aber jeder ist anders, mancher mag keinen Sport. Dann ist das doch auch ok. Jeder kann nicht alles mögen. Hauptsache man fühlt sich wohl so wie man ist! Die Große war heute etwas irritiert weil Mama statt Papa zum Sport ging, da hab ich ihr erklärt dass mir das eben Spaß macht – so wie ihr das Kinderturnen. Dann fand sies richtig gut ;). VG
Liebe Edith, genau so. Es geht um die Balance. Ich esse auch wahnsinnig gerne – und viel 🙂 Neuerdings gehe ich auch wieder zum Sport. Dann heule ich tagelang rum, dass ich Muskelkater habe. Aber meine große Tochter bringt es dann immer auf den Punkt: Ist doch super Mama, du spürst, dass du etwas gemacht hast!” 🙂