Frieden schließen: Gedanken zu Fehlgeburten, der Situation in Krankenhäusern und eine Petition

4 Kommentare

Frieden schließen: Gedanken zu Fehlgeburten, der Situation in Krankenhäusern und eine Petition

„Sie waren schon öfters hier, sehe ich gerade – auch stationär.“ Ich erinnere mich, doch weiß nicht, wie oft. So frage ich nun nach: „Wissen Sie“, sage ich, „die letzten Male war ich wegen meiner Fehlgeburten hier, daher erinnere ich mich nicht mehr, wie häufig das war“. Die Schwester nennt mir die Zahl. Jetzt ist es wieder da. 2012 war ich zum letzten Mal hier. Damals stationär. Zu spät war die Fehlgeburt, zu weit fortgeschritten die Schwangerschaft.

Ich erinnere mich vage an die äußeren Umstände, Vieles habe ich verdrängt. Die Gefühle von damals, die kann ich hingegen prompt abrufen. Wie oft ich jedoch hier war, wie die Abläufe waren, daran erinnere ich mich nicht.

Ich bin heute wegen eines banalen Eingriffs hier, vier Stunden verbringe ich im Wartebereich der Gynäkologie – zwischendurch werde ich immer wieder aufgerufen für Untersuchungen. Das Wartezimmer ist voll, all die Frauen hier warten auf ihren OP-Termin. So wie ich all die Jahre. Ich frage mich, was ihre Geschichten sind. Sind sie auch hier, weil sie Fehlgeburten erlitten? Eine junge Frau hat ihre Eltern mitgebracht, sie alle wirken betroffen. Ich muss mich beherrschen, sie nicht anzustarren, weil ich ihr so gerne ein paar tröstende Worte sagen möchte.

fehlgeburt krankenhaus

Was ich erst jetzt wahrnehme: Die kalten, kargen Räume werden durch die liebe Art der Schwestern mit Wärme gefüllt. Das hatte ich die letzten Male in all den Jahren nicht so empfunden. Damals aber war ich immer mit einem anderen Gefühl, meiner Trauer, hier. Das Herzchen meines Babys hatte aufgehört zu schlagen. Jedes Mal.

Beim letzten Mal, 2012, als die Schwangerschaft schon weit fortgeschritten war, fragte mich eine Schwester ob ich den Fötus beerdigen will, das Krankenhaus selbst hat dafür einen Friedhof und bietet regelmäßig Gottesdienste für Sternenkinder an. Ich war überfordert. Ich konnte überhaupt nicht antworten, niemals hatte ich mich mit dieser Frage beschäftigt, wie sollte ich hier so plötzlich eine Antwort für mich haben.

2012 war ich zum letzten Mal hier – das liegt mehr als fünf Jahre zurück. Dieses 2012 war ein Wendepunkt für mich. Es musste aufhören. Ich wusste: Noch eine Fehlgeburt verkrafte ich nicht. Mein Kinderwunsch wurde größer, mir blieb nur ein Ausweg. Sagen wir, es war eine Hoffnung: Ich wollte mein Leben ändern. Ich entschied mich, beruflich weniger zu machen, zu studieren, und kam dann zu dem Punkt, den Job ganz aufzugeben. Karriere, Geld – alles war mir gleichgültig. Ich wusste, dass ich auf alles verzichten kann, wenn ich nur endlich noch ein Baby hätte.

Und weil wir über die Jahre und die vielen immer wiederkehrenden Fehlgeburten alles versucht hatten, gab es nur diese letzte Möglichkeit: Stress minimieren. Die vielleicht einzige Chance für mich und meinen Kinderwunsch.

Parallel suchte ich mir einen Hämatologen, der mich von nun an engmaschig betreute. Ich wollte wissen, warum ich alle Babys verlor. Es musste doch einen Grund geben! Ich selbst wollte nicht schuld daran sein, nur, weil ich vielleicht zu gestresst war, zu viel gearbeitet hatte.

Etwa zwei Wochen später nachdem ich meinen Arbeitgeber sagte, dass ich aufhören werde, war ich wieder schwanger.

Sie wollte bleiben und blieb. Im April wird sie vier Jahre alt.

Mit dem Hämatologen und dem Frauenarzt an meiner Seite gelang diese Schwangerschaft, zum ersten Mal seit Jahren. Bis zu ihrer Geburt hatte ich große Ängste, dass wieder etwas schief geht. Lina aber war stark. Sie wollte bleiben und blieb. Im April wird sie vier Jahre alt.

Jetzt, wo ich noch einmal in diesem Krankenhaus war, in dem all die Fehlgeburten „behandelt“ wurden, denke ich: Eigentlich hätte Lina genau hier zur Welt kommen müssen.  Ich hätte mit diesem Ort Frieden schließen können.

Damals aber war ich so verängstigt in meiner Schwangerschaft, dass für mich nur die Uniklinik mit angrenzender Kinderklinik in Frage kam. Heute weiß ich, dass ich bei der Wahl der Entbindungsklinik einen Fehler gemacht habe. Ich wollte die beste Versorgung – war am Ende aber doch nur eine Nummer.

Eine Woche musste ich nach dem Kaiserschnitt im Krankenhaus bleiben, in dem es an allem fehlte. Es gab keine Toiletten oder Duschen auf den Zimmern, alle Mütter mussten sich in alten sanitären Gemeinschaftsanlagen neben dem Flur frisch machen. Die Babys wurden nachts untersucht, um das Personal am Tag zu entlasten. Für uns Mütter eine große Belastung, wenn man um 2.30 Uhr zum Wiegen mit dem Baby anstehen muss. Zeit für Stillberatung war nicht, wenns nicht klappt, setze man uns ein paar Stunden an die Milchpumpe für ein paar Tröpfchen Muttermilch. Und manchmal gab es noch nicht mal stilles Wasser, weil „sie ja schließlich auch nichts dafür können, wenn unsere Besucher das ganze Wasser wegtrinken.“

Bis auf die Physiotherapeutin, die mich wegen des Kaiserschnitts jeden Tag begleitete, fühlte ich mich menschlich hier weder gut aufgehoben, noch wirklich wahr- oder ernst genommen. Dabei bin ich überzeugt: Jeder, der in der Geburtshilfe arbeitet, tut sein bestes. Es sind die Rahmenbedingungen, die nicht stimmen. Das Grundproblem politisch.

In der aktuellen Petition „Gesundheitswesen – Beschluss einer umfassenden Geburtshilfereform“ die im Deutschen Bundestag eingereicht wurde, heißt es: “Familien, Mütter und Kinder zu schützen, ist im Grundgesetz verankert (GG Art. 6, Abs. 1 & 4, Art. 1, Abs. 1). Ihnen muss flächendeckend respektvolle Geburtshilfe ermöglicht und den Versorgungsträgern sowie dem medizinischen Personal (Hebammen, ÄrztInnen u.a.) die dafür nötigen Voraussetzungen und (Arbeits-)Bedingungen gegeben werden.” 50.000 Unterzeichner werden benötigt, noch sind es keine 4000. Diese Petition können wir alle hier bis zum 27. März 2018 unterzeichnen.

 

Danke fürs Lesen.

JETZT GRATIS ANMELDEN
Geben Sie Ihre Email Adresse ein und klicken Sie auf den Knopf "Sofort Zugang erhalten".
Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden, damit ich dir den Newsletter auch schicken kann. Natürlich werden deine Daten nicht an Dritte weitergegeben. Mehr dazu steht in meiner Datenschutzerklärung: https://www.minimenschlein.de/datenschutz/
“Diese Ungerechtigkeit gegenüber meinem kleinen, behinderten Mädchen verkrafte ich nicht mehr”
Im Alter von 4 Jahren verschwunden: Dolores sucht ihre Tochter Julia

Ähnliche Beiträge

4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Danke dass du das teilst. Es ist so wichtig damit die Politik etwas ändert.

    Antworten
  • Danke für diesen Satz: „Jeder, der in der Geburtshilfe arbeitet, tut sein bestes. Es sind die Rahmenbedingungen, die nicht stimmen. Das Grundproblem politisch.“

    Uns Schwestern sind die Hände gebunden. Wobei es in meiner Einrichtung (ev KRankenhaus) noch verhältnismäßig freundlich zugeht. Meine Kolleginnen und ich haben so viele Überstunden, das kann sich kein Patient vorstellen (sieht auch keiner). Deine Geschichte tut mir sehr leid. Ich hoffe die Wunden heilen.

    Antworten
  • Deine Erfahrungen klingen schrecklich und tun mir so leid. Das wünscht man keinen, insbesondere nicht die Fehlgeburten aber auch nicht diese Zustände im Krankenhaus. Mir ist es dennoch wichtig, dass nicht, wie so oft bei geburtsberichten, die Unikliniken so schlecht weg kommen. Diese Erfahrungen können einem überall passieren, aber auch bei jeder anderen op auf jeder anderen Station und selbst in einem Geburtshaus weiß man nicht, wie viele Geburten parallel kommen und sie weisen auch keinen ab. Ichseöber habe auch in der Uni entbunden, da uns die Sicherheit für j der ungeborenes an höchster Stelle stand. Ich wolle keinen Heliflug eines wenige Minuten alten babys riskieren, nur für eine vermeintlich schöne Atmosphäre. Oder einen fehlenden Facharzt. Deshalb haben wir uns für die Uni entschieden. Und es war nicht nur fachlich perfekt, sondern auch menschlich top, eine liebevolle Betreuung während der gesamten Geburt, ein Familienhilfe.- obwohl die Station alles.andere als leer war, natürlich ein wc/Bad auf dem Zimmer, Frühstücksbüffet auf Station, liebe Hebammen und kinderkrankenschwestern für alle fragen und sorgen. Viele Tipps in den Stunden nach der Geburt und das Gefühl liebevoll umsorgt zu sein trotz des großen uniapparats. Also es geht auch anders in der heutigen Zeit und hängt Vielvölkerreich der Klinikleitung ab!!!

    Antworten
  • Ich finde es gut, liebe Leonie, dass Du auch so traurige Seiten mit uns teilst und zum Nachdenken anregst. Wir hatten diese Woche einen mehrstündigen Aufenthalt in der Kinderklinik und das einzige, was dort stand: Fragen Sie nicht, wann sie dran sind, wir wissen, dass Die warten. So lässt man alles über sich ergehen und ist alleine mit seinen Sorgen.
    Wie schön, dass Ihr bald schon den vierten Geburtstag feiert.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Malcare WordPress Security