Und nun sehe ich mein eigenes Leben, mit Regeln, mit Strukturen, mit Ritualen, einem sauberen Bett, einem schönen Badezimmer, einer weißen, hellen Einrichtung. Viel Geld, das ich in Dekoration gesteckt habe, Kleidungsstücke, die ich gekauft und doch nie getragen habe – Letzteres spar ich mir in Zukunft.
In Kambodscha war ich ständig Hin- und Hergerissen – zwischen Scham, Schock und schlechtem Gewissen.
Wenn man all diese Kinder sieht, die nichts, aber auch gar nichts haben, dann macht einen das sehr fertig.
Es stellt die ganze Gedankenwelt auf den Kopf.Ich haderte viele Tage, sprach mit den anderen, die vor Ort dabei waren. Uns alle einte dieses Gefühl.
Die letzten 48 Stunden
Meine letzten 48 Stunden in Kambodscha waren nochmal eine Grenzerfahrung der anderen Art, weil ich nämlich krank wurde. Ich reagierte so, wie ich in Deutschland reagiert hätte: Ich bat um einen Krankenwagen. Doch der kam nicht. Es gibt nämlich in den Dörfern in Kambodscha keinen Krankenwagen. Und es gibt auch kein Krankenhaus, dafür mussten wir erst mal 3 Stunden in die Hauptstadt fahren. Wenn es einem nicht gut geht, kann sich so eine Fahrt lange anfühlen. Nicht auszudenken, wie es Eltern dort geht, die mit ihrem Kind diese lange Fahrt auf sich nehmen müssen, falls mal etwas sein sollte.
Die letzten zwei Tage verbrachte ich also in der Hauptstadt, weil ich da einfach näher am Krankenhaus war – zum Glück, denn ich musste gleich zwei Mal hin. Schade dennoch, weil ich den Abschied im Kinderdorf verpasst habe. Und das, wo sich die Kinder mit einem Auftritt noch ganz besonders viel Mühe gegeben haben.
Stattdessen lag ich im Zimmer eines Hostels, ganz allein und die ganze Nacht wach. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Am nächsten Tag stand mein Rückflug an, 18 Stunden in denen ich wieder nur nachgedacht habe.
Mir ist klar geworden: Ich muss akzeptieren, dass es ok so ist, wie ich lebe.
Hier zu Leben ist ein Geschenk für das ich jeden Tag dankbar sein sollte.
Ein schlechtes Gewissen zu haben hilft Kindern aber am anderen Ende der Welt auch nicht.
Auch meine Anteilnahme oder meine Ohnmacht – beides hilft den Kindern nicht.
Ich habe begriffen: Schämen muss ich mich nicht, dass ich lebe, wie ich lebe.
Schämen muss ich mich nur dann, wenn ich von all diesen Dingen weiß, und nichts tue.
Und ich tue etwas. Ich schreibe darüber, ich trage die Geschichten in die Welt. Ich habe gemeinsam mit Amigo Spiele 1000 Euro gespendet, und bin dankbar, dass sie auch die Reise für mich bezahlt haben. Ich bin nun um viele Erfahrungen reicher.
Ich werde eine Patenschaft bei CFI Kinderhilfe für ein Kind abschließen und so ein Stück weit dafür sorgen, dass die Kinder, die es ins Kinderdorf geschafft haben, sicher und behütet groß werden können.
Die Patenschaft kostet 37 Euro im Monat. Wenn ich …
… im Dezember keine neuen Weihnachtskugeln kaufe, sondern die aus dem Keller nutze, ist es auch nicht schlimm – und ich habe die 37 Euro wieder drin
… im Januar nicht noch ein paar Winterboots kaufe, weil gerade Sale ist
… im Februar in die Verkleidungskiste gucke und kreativ werde, anstatt im Karnevalsladen ein neues Outfit für die fünfte Jahreszeit zu kaufen
… im März die Osterdeko einfach mal selbst bastle
… im April zum Frühlingsanfang einfach mal wieder einen Flohmarktstand mache
… im Mai zum Muttertag auf meinen Strauß verzichte
… im Juni nicht panisch durch die Bademodenabteilung renne, um den perfekten Bikini zu finden
… im Juli mir nicht an jedem Straßencafé einen Coffee-To-Go hole, weils so schön ist, damit in der Sonne zu sitzen
… im August nur jeden zweiten Tag mit den Kids ein Eis esse
… im September eine kleine eBay-Aktion mache und mal wieder ordentlich ausmiste
… im Oktober Halloween ausfallen lasse
… im November das Auto einfach mal stehen lasse und mit dem Rad fahre, als wär’s Sommer
DANN habe ich nächstes Jahr im Dezember schon 1 Jahr einem kleinen Menschen geholfen.
Das sind kleine Dinge, die so einfach sind. Und darum gehts: Mit kleinen Gesten können wir am anderen Ende der Welt Großes bewirken. Das ist mein Weg und ich werde nicht aufhören, mich für Kinder in Not stark zu machen. Ganz gleich, ob sie hier oder in Kambodscha leben, Flüchtlingskinder sind oder in allen Belangen hilfsbedürftig. Gutes tun kann man nämlich immer, egal, wie man lebt.
6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Wahre Worte!!! Danke fürs mitnehmen auf diese Reise ⭐️
Sehr gerne 🙂
Seit einem Jahr haben wir unser „drittes Kind“. Er lebt in Sri Lanka und wir unterstützen ihn monatlich. Die Bilder und Berichte, die wir von ihm bekommen sind unglaublich schwer für mich zu lesen. Er bedankt sich dafür, seine Eltern auch. Die Gefühle, die du auch geschrieben hast empfinden wir auch. Es bereichert uns ungemein ihn zu unterstützen. Wir planen in fünf Jahren ihn zu besuchen. Danke, dass du so offen und ehrlich darüber schreibst. Ich finde es wichtig, dass wir darüber reden und nicht nur mit einem schlechten Gewissen weiter machen.
Liebe Alison, wie toll dass ihr ihn besuchen könnt! Ich hoffe auch sehr, dass mein Patenkind ein Mädchen wird, das ich in Kambodscha selbst kennen gelernt habe. So eine persönliche Verbundenheit ist nochmal was ganz besonderes. Liebe Grüße, Leonie
Danke für diese Gedanken. Wir schenken uns zu Weihnachten auch eine Patenschaft. Vermisse deine Berichte bei Instagram. Es war traurig aber auch immer fesselnd. Danke für deinen Tiefgang.
Das find ich richtig, richtig toll! Und: Nichts zu danken 🙂